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Freiheit für die Oper!

Dieser Tage bekommen immer mehr Zürcher und Zürcherinnen ungewöhnliche Telephonanrufe. Eine Stimme vom Band, mit reizendem italienischen Akzent, lädt sie ein, einer Live-Übertragung aus dem Opernhaus Zürich beizuwohnen. Einfach dran bleiben. Diese Anrufe sind Teil des aktuellen Projekts «Opera Calling» der Zürcher Mediengruppe Bitnik!, zusammen mit Sven König, welches seit dem 9. März im Cabaret Voltaire zu sehen und mit etwas Glück zu Hause am Telephon zu hören ist. Das Projekt versteht sich als eine Intervention in das kulturelle System «Oper Zürich». Mittels mehrerer in Zuschauerraum versteckter Wanzen wird die Oper live nach draussen übertragen und von dort mittels einer im Cabaret Voltaire installierter Telephonanlage an zufällig ausgewählte Nummern in Zürich gesendet. Das Ziel ist es, bis zum Ende des Projektes jede Person in Zürich einzeln anzurufen.

Die Nutzung des Telephons zur Übertragung von Live Musik referenziert jene Anwendungen, die die Pioniere des Telephons vor knapp 130 Jahren im Sinn hatten, als sie die Technologie entwickelten. Damals dachte niemand daran, dass die Apparatur zur Übertragung von Gesprächen zwischen Privatpersonen gebraucht werden könnte.

Jenseits dieses medienhistorischen Insiderwitzes, ist heute der Aspekt der Aneignung der Oper für eine neue künstlerische Arbeit von besonderem Interesse. Wie fast immer in solchen Fällen, entsteht auch hier die Spannung zwischen dem urheberrechtlich definierten Rechten auf Kontrolle (hier der aufführenden KünstlerInnen) und der verfassungsmässig verankerten Freiheit der Kunst. Nicht ganz überraschend vertritt das Opernhaus die Position, dass die Rechte der MusikerInnen unrechtmässig verletzt werden und hat in einem Brief an das Cabaret Voltaire verlangt, das Projekt sofort einzustellen. Richtige Dadaisten sind aber nicht so leicht einzuschüchtern und das Projekt läuft nach wie vor. Nun werden die JuristInnen ihre komplexen Argumente entfalten, wie genau hier die Rechteabwägung zu machen sei.

Für Nicht-JuristInnen ist die Situation hingegen ganz einfach. Das Opernhaus besteht nur dank sehr umfangreicher öffentlicher Unterstützung (wogegen nichts zu einzuwenden ist). Damit hat die Öffentlichkeit ein Recht, sich diese Aufführung anzueignen. Weil das Opernhaus nicht zu 100% von der öffentlichen Hand finanziert wird muss es allerlei andere Einkommensquellen generieren, insofern sind die Ticketpreise durchaus gerechtfertigt. Dass aber darüber hinaus versucht wird, andere von der Nutzung dieser Aufführungen abzuhalten, ist nun wirklich nicht zu rechtfertigen. «Opera Calling» greift in keiner Weise die finanzielle Grundlage der Oper an, sondern bemüht sich eigentlich nur darum, den Kreis derjenigen, die in den Genuss der Oper kommen, auf alle diejenigen zu erweitern, die sie auch bezahlen. Oder wie die Künstler sagen: "Arias for All!"

Diese Auseinandersetzung zwischen DadaistInnen und dem Opernhaus mag auf den ersten Blick ein marginales Problem erscheinen, aber es wirft ein Schlaglicht auf ein viel grundsätzlicheres. Zensur funktioniert heute vielfältig und oftmals auf Umwegen, aber immer dient sie dazu, die Botschaften per Macht zu verstärken und die Kommunikationsfähigkeit der weniger Privilegierten einzuschränken. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass das Urheberrecht, das einst den prekären Künstler in die Lage versetzen sollte, von den Früchten seiner Arbeit zu profitieren, heute in sein Gegenteil umzukippen droht. Je stärker das Urheberrecht ausgebaut, etwa in der aktuellen Revision, wie sie vom Ständerat am 19.12.2006 verabschiedet wurde, und je aggressiver die Rechteinhaber, zumeist grosse Medienunternehmen oder nachlassverwaltende Stiftungen, diese Rechte durchsetzen, desto schwieriger wird es für aktuelle Kulturschaffende, sich mit ihrer semiotischen Umwelt selbstbestimmt auseinander zu setzen.

Besonders akut ist das Problem im Kontext digitaler Kultur, die wesentlich von der Transformation bestehender Inhalte lebt mit Samplings, Remixes und Mashups. Hier steht das Urheberrecht auf dem Kopf. Es garantiert, dass die Rechteinhaber effektiv bestimmen können, wer im vollen Umfang aktiv kommunizieren darf, und wer nur als (zahlendeR) KonsumentIn passiv empfangen darf. Ob intendiert oder nicht, der Effekt ist Zensur im obigen Sinne. Das perfide ist, dass der Diskurs über Urheberrechte in diesem Fall aus dem Täter, dem Zensor, ein Opfer macht, das seine Rechte verteidigen muss. Dem kann nur begegnet werden, in dem der Diskurs der Urheberrechte konfrontiert wird mit dem Diskurs der Freiheit, sei es die Freiheit der Kunst, oder die ebenfalls verfassungsmässig verankerte Meinungs- und Informationsfreiheit.

Die angemessene Reaktion des Opernhaus wäre es ab sofort alle Opern live am Radio, oder wenigestens per Internet Stream, zu übertragen und unter einer Lizenz, die allen freien Zugang garantiert, zu archivieren. Ich bin sicher, die Gruppe Bitnik und Sven König würden ihnen gerne zeigen, wie man so etwas kostengünstig machen kann. Vielleicht bekommen wir ja bald den Sender "Radio Free Opera". Das wäre ein Gewinn für die freie Kultur, eine Niederlage für die Kontrolleure und Monopolisten unserer semiotischen Umwelt.

Aus: Fabrik Zeitung (April 07, Nr. 230, Seite 7)

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