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Ein Brief von Suisseculture

So, wir haben einen Brief von SuisseCulture erhalten (ferienbedingt lag er etwas länger in der Inbox). Sobald wir Zeit haben, werden wir ausführlich antworten, hier aber erstmal der Brief, zum selbst lesen (.pdf). Der Brief wurde, so scheint es, nicht nur uns, sondern einer ganzen Reihe von Personen und Organisationen zugestellt, etwa auch dem Kleinreport.ch, womit er öffentlichen Status erlangt.


Mathias Knauer
Hardstraße 87
8004 Zürich

Zürich, 5. Oktober 2006

Sehr geehrte Frau Schindler

wir sehen, dass Sie eine Initiative (www.kunstfreiheit.ch) betreffend die Novellierung des Schweizer Urheberrechts-Gesetzes unternommen haben. Es freut uns, daß Sie – zu später Stunde – sich in diese Diskussion einmischen. Die Schweizer Kunstschaffenden haben sich – direkt oder über Suisseculture – dazu längstens eingemischt und zahlreiche Stellungnahmen verfasst. Wir möchten annehmen, dass Sie diese Positionen kennen.

Daher die Anfrage:
– welche der Suisseculture-Positionen können Sie teilen, welche nicht? Und: warum?
– welche Aspekte sind aus Ihrer Sicht seitens Suisseculture ungenügend/falsch dargestellt, so dass Sie sich als Kulturschaffende nicht dahinter stellen können?
– Was verstehen Sie unter »Verwertungsindustrie«? Stehen die Künstlerinnen und Künstler aus Ihrer Sicht eher auf der Seite der Verwerter oder des Publikums? Zählen Sie sich zu den Verwertern? Zählen Sie zu diesen auch unsere Verwertungsgenossenschaften?


Sie schreiben:
(1) Das Urheberrecht steht im Spannungsfeld zwischen Schutz und Monopolisierung. Es muss eine vernünftige Balance zwischen den Interessen der erwerter und jenen der KünstlerInnen und des Publikums geben.
(2) Freier Zugang zu kulturellen Werken ist notwendig für die freie Weiterentwicklung der Kultur.
(3) Technische Kopierschutzmaßnahmen untergraben die Freiheit der Kunst.
(4) Die im UR vorgesehenen Kontrollmöglichkeiten dürfen der freien Entwicklung des künstlerischen Schaffens nicht entgegenstehen.


Dazu möchten wir anmerken:

ad1:
Einverstanden – außer der Reihenfolge: "Balance zwischen den Interessen der Künstler/innen und jenen des Publikums und der Verwerter" – statt in Ihrer Reihenfolge.

Das Urheberrecht schützt doch die Urheber vor der gerade im digitalen Zeitalter zunehmenden Enteignung ihrer Arbeit. Daß dabei die geistige Tätigkeit auch einen gesellschaftlichen Aspekt hat, nämlich auf früheren Leistungen und kollektivem Wissen aufbaut, und daß künstlerische Leistungen auch einen Gemeinwohl-Aspekt haben, nämlich zu den Grundvitaminen des gesellschaftlichen Lebens gehören, wird traditionell im Urheberrecht ja damit erücksichtigt, daß – im Unterschied zum materiellen Eigentum – der Schutz des geistigen Eigentums zeitlich befristet wird, und die Werke nach dieser Frist zum Gemeingut werden.

ad2:
»Freier Zugang zu kulturellen Werken ist notwendig für die freie Weiterentwicklung der Kultur.«

Das ist richtig, doch freier Zugang bedeutet ja nicht 'Gratis-Zugang', d.h. Zugang ohne Entschädigung des Urhebers! Der Umstand, daß man für ein Kulturprodukt etwas bezahlen muß, kann solange nicht als Einschränkung der Kunstfreiheit gesehen werden, als der Zugang nicht unerschwinglich wird: handle es sich nun um ein Buch, einen Tonträger, ein Konzertbillett oder einen Museumseintritt. Von daher auch die öffentliche Kunstförderung.

Die Kunstfreiheit wird heute in erster Linie von der ökonomischen Zensur bedrängt (und, bei uns seltener: der politischen etc.) – auf der Seite der Produktion ebensowohl wie auf jener der Konsumtion. Zu dieser Zensur zählt für mich also auch die Behinderung des Zugangs etwa zu Opernvorstellungen in Zürich in Folge unerschwinglicher Preise; dazu zählen aber auch die Folgen der Monopolisierung: bedrohte Vielfalt des Angebots. Zu dieser trägt auch ein gewisser Typus des »Kulturmanagers« bei, dessen Tageshonorar bisweilen höher ist als die Wochengage eines freischaffenden Künstlers.

Techniken wie Collage, Remix usw. zeigen ja, daß eine »Aneignung kulturellen Materials« ständig unbehindert stattfindet. Das meint indessen doch eine geistige Aneignung, nicht eine materielle Expropriation des Urhebers. Im bestehenden UR – und soweit ich sehen kann, ist das nirgends bestritten – gibt es ja auch das Bearbeitungsrecht, wovon der Artikel 3 des geltenden Gesetzes (Werke zweiter Hand) handelt. Wo sich aus neuen künstlerischen Ver- fahren rechtliche Probleme ergeben sollten, wären diese auf dem Verhandlungsweg (über die Tarifgestaltung, eventuell mit neuen Formen der Kollektivvergütung) zu lösen, so wie das im Urheberrecht immer gehandhabt wurde, sobald neue Technologien, Marktumstände usw. aufkamen und die angemessene Entschädigung der Urheber in Gefahr geriet.


ad3:
Technische Kopierschutzmassnahmen bedrohen aus unserer Sicht die Kunstfreiheit NICHT, wenn sie u.a. ...
-- nach Ablauf der Schutzfristen für den proprietären Schutz die Dateien in den Domaine public freigeben, [dh. der Ablauftermin muß in den Dateien (per ©Copyright-Vermerk) selber enthalten und öffentlich sichtbar sein; die »technischen Maßnahmen« müssen danach unwirksam werden].
-- einfache, interoperable Interfaces für die dauerhafte Lesbarkeit der Dateien, der freigewordenen auch in 70 oder 200 Jahren, bereitstellen.
-- nicht den Erwerber von Werkexemplaren an bestimmte technische Geräte binden oder die Nutzung zeitlich vertragswidrig beschränken.

ad4:

Dazu können wir mangels besserer Angaben, was mit »Kontrollmöglichkeiten« gemeint sein könnte, keine Stellung nehmen. Wie überhaupt der Appell in vielem begrifflich verschwommen bleibt und daher leider wenig zur notwendigen Klärung dieser einem breiteren Publikum schwer verständlichen Begriffe und Zusammenhänge beiträgt.

Es ist kein Zufall, daß Ihr Appell in der NZZ unter dem Titel »Kunstfreiheit contra Ur- heberrecht« kolportiert wurde: man gewinnt tatsächlich den Eindruck, die Initianten sähen die Kunstfreiheit durch das Urheberrecht bedroht, während doch das Urheberrecht – richtig gestaltet und von den Urhebern einverlangt – gerade eine der Voraussetzungen der Kunstfreiheit darstellt, indem es den Schaffenden von ökonomischen Zwängen, von Staats- abhängigkeit, Sponsorenabhängigkeit, vor der Arroganz von Eventdirektoren oder Kura- toren, Kulturmanagern pp. befreit, und ihm zudem Rechte in die Hand gibt, auch die Integrität seiner Arbeiten gegen die kunstgewerbliche Fleischwolfindustrie so gut wie gegen die Multimedia-Riesen zu schützen.

Diese Unklarheiten dürften denn auch dazu geführt haben, daß sich einige verständige Künstlerinnen und Künstler für Ihren Appell als Erstunterzeichner gewinnen ließen und damit – wohl ohne sich dessen bewußt zu sein – Ihnen am Ast sägen helfen, auf dem sie selber sitzen.

Mit freundlichen Grüßen
Mathias Knauer
Vizepräsident von Suisseculture

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