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Antwort an Suisseculture

Nun haben wir die Zeit gefunden, um auf den Brief von Suisseculture zu antworten (.pdf). Es hat etwas länger gedauert, aber dafür ist die Antwort auch recht ausführlich ausgefallen.

Basel, Zürich, 27.10. 2006

Sehr geehrter Herr Knauer,

Vielen Dank für Ihren Brief. Wir hoffen, dass er den Auftakt einer ernsthaften Diskussion darstellt. Bevor wir auf die Fragen, die Sie uns stellen, eingehen, erlauben wir uns eine einleitende Bemerkung. Sie schreiben, dass sich „die Schweizer Kunstschaffenden“ längst zur Urheberrechtsrevision geäussert haben. Wir haben keinen Zweifel daran, dass sich einige Schweizer Kunstschaffende von Suisseculture gut vertreten fühlen. Es ist aber ebenso eine Tatsache, dass es eine Vielzahl von Kunstschaffenden gibt, die sich a) nicht zum Thema geäussert haben und b) in dieser Sache nicht oder nur schlecht von Suisseculture vertreten fühlen. Die grossmehrheitlich positive Reaktionen auf unseren offenen Brief und die über 470 Unterschriften sind ein eindeutiger Beleg dafür.

Nun zu den Fragen, die Sie uns stellen.
  • welche der Suisseculture-Positionen können Sie teilen, welche nicht? Und: warum?
  • welche Aspekte sind aus Ihrer Sicht seitens Suisseculture ungenügend/falsch dargestellt, so dass Sie sich als Kulturschaffende nicht dahinter stellen können?

Diese beiden Fragen lassen sich gemeinsam beantworten. Für uns stellt sich das Hauptproblem der Position von Suisseculture darin, dass in keiner Weise berücksichtigt wird, dass KünstlerInnen nicht nur ProduzentInnen von kulturellen Werken sind und den entsprechenden Schutz dieser Werke benötigen, sondern auch NutzerInnen von kulturellen Werken, die den freien Zugang zu Werken benötigen, damit sie daraus Neues schaffen können. Mit freiem Zugang meinen wir nicht notwendigerweise Gratis-Zugang, sondern frei im Sinne von erlaubnisfrei. Es kann nicht im Interesse der produzierenden KünstlerInnen sein, dass das Urheberrecht so interpretiert wird, dass jede Verwendung eines erkennbaren Werkteiles vom Rechteinhaber genehmigt werden muss, oder für die gesamte Dauer des Rechtsanspruches die Unsicherheit besteht, ob nicht doch noch, nachträglich, Ansprüche geltend gemacht werden.

Unserer Meinung nach wäre es an der Zeit, dass sich die Suisseculture für eine aktuellere Definition der Balance zwischen Kontrolle durch die Rechteinhaber und den Rechte der KünstlerInnen, die eben auch oft auch NutzerInnen sind, einsetzt.
  • (a) Was verstehen Sie unter »Verwertungsindustrie«? (b) Stehen die Künstlerinnen und Künstler aus Ihrer Sicht eher auf der Seite der Verwerter oder des Publikums? (c) Zählen Sie sich zu den Verwertern? (d) Zählen Sie zu diesen auch unsere Verwertungsgenossenschaften?

(a) Unter Verwertungsindustrie verstehen wir diejenigen kommerziellen Akteure, deren Geschäftsmodell nicht auf der Produktion, sondern der Reproduktion geistiger Werke im grossen Umfang beruht. Die Verwertungsindustrien sind in der Regel diejenigen, denen Urheber die Nutzungsrechte an ihren Werken übertragen (müssen), um diese finanziell auswerten zu können. Zu den Verwertern gehören alle diejenigen Akteure, die „nur“ Nutzungsrechte, aber keine Autorenrechte an Werken besitzen.

(b) KünstlerInnen stehen auf allen Seiten, wobei wir den Begriff „Publikum“ insofern problematisch finden, weil das Publikum oft passiv gedacht wird. Zeitgenössische Kunstwerke sind aber längst nicht mehr nur statische Produkte. Immer öfters werden NutzerInnen als aktiv handelnde einbezogen, die mit Werken interagieren und diese oft auch transformieren. Rezeption und Produktion von Kunst rücken immer näher zusammen.

(c) Nein. Unsere Arbeit beruht nicht in erster Linie auf der kommerziellen Verwertung von Werken anderer.

(d) Im Grunde genommen nicht, denn Sie sollten ja die Interessen der KünstlerInnen vertreten. Die Verwertungsgesellschaften machen allerdings eine klare Trennung zwischen Produktion und individueller Nutzung von Werken. Ihr Modell von kulturellem Schaffen entspricht offensichtlich dem der Verwertungsindustrie wesentlich besser als jenem vieler heute arbeitenden KünstlerInnen. Warum dies so ist, entzieht sich unserer Kenntnis.

Unsere unterschiedlichen Ansichten, welche Bedingungen das Schaffen von Kunst fördern, werden auch deutlich in den Erwiderungen zu unseren Forderungen. Sie schreiben etwa, dass der Gemeinwohl-Aspekt künstlerischer Leistungen durch die zeitliche Limitierung der Urheberrechts, 70 Jahre nach dem Tod des Autoren, adequat berücksichtigt sei. Wir können darin, dass jede Nutzung der Werke von nach 1936 verstorbenen KünstlerInnen, bewilligungspflichtig ist, keine adequate Balance sehen. Im US-Amerikanischen Recht gibt es immerhin die Konstruktion des „fair use“, die eine gewisse Werknutzung erlaubt, bevor das Werk in die public domain übergeht und Gemeingut wird. Es ist doch fatal, dass es in der heutigen Situation nur entweder umfassende Monopolrechte (während der Laufzeit der Schutzfrist) oder gar keine Rechte (wenn das Werk Gemeingut wird) gibt. Hier müsste dringend mehr Flexibilität geschaffen werden.

Des weiteren schreiben Sie: „Techniken wie Collage, Remix usw. zeigen ja, daß eine »Aneignung kulturellen Materials« ständig unbehindert stattfindet.“ Durch die aktuelle gesetzgeberische Lage, finden viele dieser Techniken in einem Graubereich statt, und es gibt keine Lobby, welche KünstlerInnen, die bedroht werden, hilft. Dass es die Pro Litteris, wie Herr Stauffacher am Podium betont hat, als ihre Aufgabe sieht, die Interessen einer nachlass-verwaltenden Siftung (Warhol Foundation) zu vertreten, anstatt eine aktuell produzierende Künstlerin in ihrer ebenfalls legitimen Kunstfreiheit (Warhols Werke zu transformieren) zu unterstützen, finden wir sehr bedenklich. Diese Haltung trägt nicht zur Legitimation von Suisseculture und Pro Litteris als Vertretung produktiver KünstlerInnen bei.

Sie sprechen von „ökonomischer Zensur“ und meinen dabei die hohen Eintrittspreise, etwa der Oper, die vielen den Zugang verwehren. Ein reales Problem, aber unserer Meinung nach nicht die problematischste Form von ökonomischer Zensur, wie sie KünstlerInnen erleben. Viel problematischer ist es, dass die Verwertungsindustrie eine Transformation von Werken entweder gar nicht erlaubt, oder sie so teuer macht, dass sie für die Mehrheit der KünstlerInnen nicht erschwinglich ist. Jeder Dokumentarfilmer kennt dieses Problem, wenn Szenen nicht verwendet werden können, weil es nicht möglich ist, die im Hintergrund laufende Musik zu lizenzieren. Wie viele der zeitgenössischen KünstlerInnen, welche bei der Pro Litteris angeschlossen sind, können derweilen mehr als einen höchst bescheidenen Anteil ihrer Lebenskosten durch die Einkünfte decken, welche ihnen das Urheberrecht gewährt?

In Ihrer Position zu den „technischen Schutzmassnahmen“ schliesslich können wir keinen Bezug zur realen Situation erkennen. Keine einzige der Bedingungen, die Sie nennen, damit diese Massnahmen nicht mit der Kunstfreiheit kollidieren, sind heute gegeben, noch sollen sie vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden. Es ist nicht möglich, in Software den Termin einzuschreiben, wann der Schutzanspruch ausläuft, denn der hängt ja von der Lebensdauer des Autoren ab, die in den meisten Fällen unbekannt ist. Darüber hinaus erlischt nur das Umgehungsverbot mit dem Ablauf des Schutzanspruches. Das heisst, 70 Jahr nach dem Tod des Autors ist das Werk nicht zwar rechtlich frei, aber niemand gewährleistet, dass es faktisch auch zugänglich ist. Ebenso ist es technologisch unmöglich, die Lesefreiheit eines bestehenden Formates in 70 oder 200 Jahren zu garantieren. Die einzige Möglichkeit Lesefreiheit zu schaffen, ist das Recht, Formate zu verändern (etwa den Inhalt einer Floppy-Disk auf CD zu brennen). Dies verunmöglicht DRM. Drittens, in der Praxis zwingt DRM ja gerade die NutzerInnen bestimmte Hard- und Software zu nutzen. Apple's iTunes kann nur mit Apple Software benutzt werden, und auf einem einzigen Portablen Player angespielt werden, der zufälligerweise auch von der Firma Apple hergestellt wird. Das ist die Realität. Darüber hinaus verunmöglicht DRM legitime Werknutzungen (etwa Privatkopie oder Zitate), weil es verboten sein soll, Technologien anzubieten, die solche Nutzungen erlauben. Nur die allerwenigsten KünstlerInnen werden in der Lage sein, die entsprechende Software selbst zu schreiben. In dieser Frage vertreten Sie illusorische Positionen, die in der Praxis nur der Verwertungsindustrie nützen.

Wir bitten Sie, unsere Argumente und unseren offenen Brief Ihren Kreisen zur Kenntnis zu bringen, wie wir es für Sie gemacht haben.

Mit freundlichen Grüssen



Annette Schindler, Felix Stalder

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